© Abb.: Trauerhalle auf dem Leipziger Südfriedhof

Landschaftspark Leipziger Südfriedhof

Berichte

Ein Gesamtkunstwerk

Ein Leipziger Gesamtkunstwerk – Landschaftspark Südfriedhof

Die Entdeckung eines Gesamtkunstwerks

Es war der Zufall, der mich etwas finden ließ ohne es zu suchen: Für meinen ersten Aufenthalt zur Buchmesse in Leipzig hatte ich ein Hotel gebucht, das vom Zentrum aus gesehen, noch hinter dem Völkerschlachtdenkmal (von 1913) lag. Ich erkunde gerne mein Umfeld zu Fuß und so habe ich mich dann auf einen längeren Spaziergang – mit der groben Richtung zum Zentrum – eingestellt. An der Connewitzer Straße entlang, rechts ein Drahtzaum, links bald ein Stadion – irgendwann im Drahtzaum eine Drehtür mit dahinter liegendem Park? Ja das Gelände erwies sich als parkähnlich angelegter Friedhof. Ich hatte, völlig ohne Absicht, den Südfriedhof entdeckt: Er zieht mich seither als kultur- und kunstgeschichtliche Fundgrube, als ein Gesamtkunstwerk bei jedem Leipzig Besuch an. Besonders im Frühjahr, zur Zeit der Rhododendrenblüte, ist ein Spaziergang dort empfehlenswert.

Rhododendron Allee auf dem Leipziger Südfriedhof

© Abb.: Rhododendron-Allee – leider gerade ohne Blüte

Eine von vielen Baumgruppen auf dem Leipziger Südfriedhof

© Abb.: Eine von vielen Baumgruppen

Freifläche mit Rhododendrongruppe auf dem Leipziger Südfriedhof

© Abb.: Freifläche mit Rhododendrongruppe

Berühmte Persönlichkeiten und kunstvolle Grabstellen

Vielen berühmten Namen kann man hier begegnen und ihre kunst- und prachtvollen Grabstätten bewundern, von Bildhauern und Architekten in den unterschiedlichsten Stilrichtungen gestaltet. Das Repräsentationsbedürfnis der jeweiligen Epoche – über den Tod hinaus – wird sichtbar und lässt die Vergangenheit lebendig werden.
Wie viele Verlage ursprünglich in Leipzig beheimatet waren, habe ich bei meinen Rundgängen begreifen können: Ob nun Baedeker, Meiner, Meyer und Thieme – die Reihe ließe sich fortsetzen – diverse, durch sie verlegte Bücher stehen bei mir in den Regalen und dienen mir als Referenz für die von mir vermittelten Inhalte. Doch auch der Psychologe und Philosoph Wilhelm Wundt, Begründer der Psychologie als eigenständige Wissenschaft, ist hier zu finden, zudem der Neurologe und Gründer des ersten Hirnforschungsinstituts in Deutschland, Paul Flechsig.
Pädagogen, Ingenieure und andere aus den universitären Bereichen, haben hier ebenso ihre letzte Ruhestätte gefunden wie Politiker, Juristen und Gastwirte. Hinzu kommen die Fabrikanten, Firmeninhaber und Ausführenden, die sich im Kontext der Buchherstellung in Leipzig angesiedelt und den Ruf Leipzigs als Bücherstadt begründet haben.
Auch der langjährige Kapellmeister des Gewandhausorchesters, Kurt Masur, hat auf dem Südfriedhof seine letzte Ruhestätte gefunden, ebenso wie manche seiner Vorgänger und andere, im Musikbereich tätigen: Ob Komponist, Musikverleger oder Klavierfabrikant, die Verbundenheit Leipzigs mit Musik ist legendär.
Bei meinen Spaziergängen bin ich Architekten und Gärtnern, Bildhauern und Grafikern begegnet. Der Ratsgärtner Carl Otto Wittenberg, ein Schüler von Lennè, hat beispielsweise zusammen mit Hugo Licht den Südfriedhof – mit der ursprünglichen Wegeführung eines Lindenblatts – geplant. Für wen die sogenannte ›Leipziger Schule‹ ein Begriff ist, findet einen der drei herausragenden Vertreter, Wolfgang Mattheuer, dessen Skulptur »Gesichtzeigen« seine Grabstelle ziert.

So manche mich tief beeindruckende Plastik wie »Mona auf Kissen sitzend« (2004), ist ebenso in Teichnähe wie die eines Jünglings aus weißem Marmor (1928). Ob die Grabanlagen beispielsweise als Tempelanlage im griechischen, neogotischen oder neoklassizistischem Stil, als Pyramide oder als pompöses Mausoleum, als portalartige Anlage mit Figurengruppe oder als Tor mit Fackelträgerinnen im reinsten Jugendstil gestaltet sind – der Reichtum an Phantasie ist beeindruckend.

Viele Skulpturen sind vor dem zweiten Weltkrieg entstanden: im Stil der Gründerzeit, des Jugendstils und des Art Déco. Die jüngeren sind seltener und eher auf den Grabanlagen der Steinmetze, Bildhauer und Architekten zu finden. Bei Grabstellen mit schlichteren Denkmälern ist, besonders dort, wo die Pflege von Friedhofsgärtnern durchgeführt wird, die Gestaltung durch die Bepflanzung sehr anregend: Diese praktizierte Kreativität, die sich deutlich von der üblichen Gestaltung ›anderswo‹ abhebt, empfinde ich als wohltuend.

Grabanlage Ferdinand Eduard Ullstein

© Abb.: Grabanlage (1912): Ferdinand Eduard Ullstein, Papierfabrikant. Die 6 Meter hohe Pyramide – im Inneren mit Urnennischen – wurde 2008 restauriert.

Grabanlage Wolfgang Mattheuer

© Abb.: Grabanlage (2004): Wolfgang Mattheuer, Maler, Grafiker, Bildhauer. Die Skulptur »Gesichtzeigen (Maskenmann)« ist eine seiner letzten Plastiken.

Ehrengrab der Stadt Leipzig Wilhelm Wundt

© Abb.: Ehrengrab der Stadt Leipzig (1920): Wilhelm Wundt, Psychologe, Philosoph. Er gründete 1879 an der Universität Leipzig das erste Institut für experimentelle Psychologie.

Grabanlage Jugendstil Walter Queck

© Abb.: Grabanlage (1906) Jugendstil: Walter Queck, Portraitmaler.

Grabanlage Kurt Masur

© Abb.: Grabanlage (2015): Kurt Masur, Dirigent, Gewandhaus Kapellmeister.

Zur Geschichte des Parkfriedhofs

Geplant wurde er ab 1879 im Stil eines englischen Landschaftsgartens auf einer Fläche in Probstheida, 3 km vom Zentrum der Stadt entfernt. 1813 hatte hier die Völkerschlacht getobt. Vorbilder für die Anlage waren wohl der Pariser Cimetière Père-Lachaise, allerdings ohne Mauern zwischen den Abteilungen, sondern mit viel Platz, Baum- und Strauchgruppen, wobei nur ein Drittel der Fläche für die Grabstellen vorgesehen war – wie bei dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg. 1887 wurden die ersten sieben Abteilungen eingeweiht. Das Regulativ sah vor, dass die Grabpflege nur durch Friedhofsgärtner durchgeführt werden durfte – Ausnahmen waren die großen Erbbegräbnisse, für die die Angehörigen selbst verantwortlich waren. Um den Parkcharakter trotz mehrfacher Erweiterung und den dadurch erforderlichen Umgestaltungen des Geländes zu erhalten, sind noch bis heute bestimmte Regulative für die Pflege in Kraft. Dort, wo eine Ruhestätte als solche ›verweist‹ ist oder das Denkmal als ›erhaltenswert‹ eingeordnet ist, jedoch umzustürzen oder zu zerfallen droht, werden Paten gesucht. Mit dieser ›Patenschaft‹ ist die Option verbunden, die Nutzungsrechte zu übernehmen.

1910 wurde der prächtige Trauerhallenbau im neoromanischen Stil eröffnet, wie die Abbildung oben zeigt. Er gilt als das größte Friedhofsbauwerk in Deutschland und steht heute unter Denkmalschutz: Die Säulenbasilika fasst 600 Personen, die zwei Nebenkapellen circa 80. Wie sehr das Krematorium das Gelände beherrscht, ist besonders für diejenigen deutlich, die den Südfriedhof durch das Nordtor betreten. Hinter dem Gebäude ist ein Kolumbarium von 1911 – zur Bestattung von Urnen – zu finden, welches das Größte diesseits der Alpen sein soll und 2011 restauriert wurde. Von hier öffnet sich auch der Blick auf den kleinen See mit seiner Fontaine. Die ihn umgebende Rasenfläche wird in der wärmeren Jahreszeit gern als Liegewiese – sogar zum Picknick (zu Ehren der Verstorbenen wie in manchen anderen Kulturen?) – genutzt.

Teich mit Fontaine Leipziger Südfriedhof

© Abb.: Teich mit Fontaine

Mona auf Kissen sitzebnd Landschaftspark Leipziger Südfriedhof

© Abb.: Grabstelle im Teichbereich: »Mona auf Kissen sitzend«, Terrakotta, von Robert Metzkes, 2009, in mehreren Ausführungen gefertigt.

Spaziergänge durch die Leipziger Geschichte

Aus den erforderlichen Erweiterungen des Friedhofs mit neuen Abteilungen lässt sich der jeweilige ›Zeitgeschmack‹ ableiten. So folgten sie für die ab 1913 dem Reformgedanken, mit geraden Wegen, geometrisch angeordneten Flächen und kleinen Grabstellen: ein Waldfriedhof nach einem Vorbild aus München. In den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts bekam die Universität, der eigentlich nur die Abteilung II zugeordnet war, wegen Platzmangels weitere separate Begräbnisplätze von I zugesprochen. Diesem mittelalterlichen Privileg eines separaten Bereiches auf dem Friedhof folgend, ist beispielsweise die Grabstelle von Wilhelm Wundt hier zu finden. Hierhin bettete man dann auch bedeutende Universitätsgrößen vom ehemaligen Johannisfriedhof um, der 1971 säkularisiert und aufgelöst wurde.

Soldaten des ersten Weltkrieges haben ihre Ruhestätten in der Nähe des Völkerschlachtdenkmals – in den Abteilungen XII und XIII – gefunden, die häufig mit Findlingen gekennzeichnet sind. Nach dem zweiten Weltkrieg entstanden in den Abteilungen XXVII und XXVIII Gedenkorte für die 3000 Bombenopfer von 1943/1944, die deutschen Soldaten und die in den Lazaretten Verstorbenen.

Ein hervorgehobener Ort wurde für die kurz vor der Befreiung ermordeten KZ-Opfer und zwölf der von den Nationalsozialisten hingerichteten Widerstandskämpfer gewählt: Ihre Urnen setzte man zunächst in der Lindenallee, zwischen dem Nordtor und der Trauerhalle, bei. Der Gedenkort für die Opfer der Gewaltherrschaft von 1945 bis 1989 – wie beispielsweise die des 17. Juni 1953, die ohne Wissen der Angehörigen eingeäschert wurden – befindet sich hingegen im Urnengarten im hinteren Friedhofsbereich.

In der Abteilung XXIX gibt es seit 2009 im ›Hain der Erinnerung‹ die Möglichkeit einer Baumbestattung. Ein Stein oder eine Tafel mit Namen und Daten kann an den Verstorbenen erinnern. Hier befindet sich außerdem der sogenannte ›Spenderbaum‹, der den deutschen Helfern gewidmet ist, die bei Friedensmissionen ihr Leben verloren haben.

Die DDR-Geschichte hat ihre Spuren in der ›Umgestaltung‹ der Lindenallee in einen »Sozialistischen Ehrenhain [mit einem Gräberspalier als zentrale] Ehrenachse für Erbauer des Sozialismus und verdiente Sozialisten« hinterlassen. Für einen Kundgebungsplatz wurden die Abteilungen VI, VII, XI und XIII in den siebziger Jahren eingeebnet. Viele alte Linden der Allee fällte man dann für das Projekt ›Leipziger Sportbauten‹. Nach der Wiedervereinigung wurde – unter Wahrung der Totenruhe – begonnen, dieser Bereiche wieder in den ursprünglichen Zustand zu versetzen. Eine Tafel informiert inzwischen über die Geschichte dieser Eingriffe in das ursprüngliche Konzept des Südfriedhofes, das bei den jeweiligen Erweiterungen – vor DDR-Zeiten – sensibel berücksichtigt wurde.

Gessamtplan Leipziger Südfriedhof

© Abb.: Gesamtplan des Leipziger Südfriedhofs mit seinen einzelnen Abteilungen I bis XXX

Planausschnitt Leipziger Südfriedhof

© Abb.: Planausschnitt des Leipziger Südfriedhofs auf dem die Gedenkstätten deutlich erkennbar sind: In Abtlg. XXVIII Luftkriegsopfer, Abtlg. XXVII Soldatenfriedhof, auf diesem Plan rechts unten Opfer der Gewaltherrschaft am Rand des Urnengartens. Der Urnenhain befindet sich zwischen der Trauerhalle und dem kleinen See.

Die DDR-Geschichte hat ihre Spuren in der ›Umgestaltung‹ der Lindenallee in einen »Sozialistischen Ehrenhain [mit einem Gräberspalier als zentrale] Ehrenachse für Erbauer des Sozialismus und verdiente Sozialisten« hinterlassen. Für einen Kundgebungsplatz wurden die Abteilungen VI, VII, XI und XIII in den siebziger Jahren eingeebnet. Viele alte Linden der Allee fällte man dann für das Projekt ›Leipziger Sportbauten‹. Nach der Wiedervereinigung wurde – unter Wahrung der Totenruhe – begonnen, dieser Bereiche wieder in den ursprünglichen Zustand zu versetzen. Eine Tafel informiert inzwischen über die Geschichte dieser Eingriffe in das ursprüngliche Konzept des Südfriedhofes, das bei den jeweiligen Erweiterungen – vor DDR-Zeiten – sensibel berücksichtigt wurde.

Gedenken an die Gefallenen des 2. Weltkriegs

© Abb.: Zum Gedenken an die Gefallenen des 2. Weltkrieges.

Steinbänke auf dem Leipziger Südfriedhof

© Abb.: Steinbänke laden hier zur Ruhe- und Besinnungspause ein.

Das Kennenlernen lohnt sich!

Seit 2020 zählt der Südfriedhof zum immaterielle Kulturerbe Deutschlands: Er ist eine wunderschöne Parklandschaft mit über hundert Jahre alten Bäumen, darunter bis zu vier Metern hohen Rhododendren und allein 300 Linden. Mit seinem alten Baumbestand, seiner Pflanzenvielfalt und den großräumigen Freiflächen ist er ein ideales Terrain für erholsame Spaziergänge, bei denen immer wieder Bänke zur Ruhepause einladen.
Nur wenige Besucher sind mir bei meinen Spaziergängen begegnet, hier und da pflegen Angehörige eine Grabstelle oder Gärtner einen Parkbereich. Angenehm ist es zudem, ohne Fahrrädern ausweichen zu müssen wie in den anderen Grünanlagen Leipzigs, die Ruhe und das Für-sich-Sein zu genießen.

Der Südfriedhof ist ein kunst-, kultur- und stadtgeschichtliches Freilichtmuseum, in dem sich auch die politischen und wirtschaftlichen Veränderungen der letzten 145 Jahre zeigen und in dem sich für mich immer wieder Neues entdecken lässt – zu jeder Jahreszeit.

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